Ermahnungsbrief

Ermahnungsbrief zum Kriege wider die heidnischen Wenden in der Lausitz und an der Elbe und an der Oder im Anfang des 12. Jahrhunderts.

Alegorius, von Gottes Gnaden Bischof zu Magdeburg, Walram von Nürnberg, Albuin von Merseburg, Herweg von Meißen, Harbarth von Brandenburg, die Grafen Otto und Ludwig, sowie die hohe und niedere Geistlichkeit ganz Ostsachsens entbieten: Dem ehrwürdigen Reginhard, Bischof von Halberstadt, Erkambert von dem Abt von Corbie, Heinrich von Paderborn, dem Mindener, dem Erzbischof von Köln, dem Aachener und Lütticher, dem Ruhmreichen Grafen von Flandern, dem Archidiakon Lambert, weisen Probst Burchold, sowie dem ausgezeichneten Gelehrten Frankrad, allen im Glauben und Treue zu Christus verbundenen Bischöfen, Äbten, Mönchen, Ermiten, Klausnern, Pröpsden, Kanonikern, Fürsten, Rittern,Hofmannen, Hörigen, niederen und hohen Geistlichkeit ihre Liebe, Fürbitte und Gruß!

Seit sehr geraumer Zeit wurden wir durch die vielfältigen Ausplünderungen und Heimsuchungen der Heiden in ärgste Bedrängnis gebracht und bitten unter Seufzen und Ächsen um Euer mitfühlendes Erbarmen, daß ihr unserer Mutter Kirche mit uns zusammen beisteht und ihren Ruin aufhaltet. Mit großer Übermacht haben sich die äußerst grausamen Heiden, erbarmungslose und boshafte Menschen, die sich ihrer unmenschlichen Taten auch noch rühmen, gegen uns erhoben, haben die Kirche Christi durch ihren Götzendienst entweiht, die Altäre zerstört, und sie schrecken nicht einmal davor zurück, was menschliches Denken auch nur aufzunehmen sich weigert, uns selbst den Garaus zu machen. Sie werden gegen unser Gebiet sehr häufig wie wilde Tiere losgelassen, viele von ihnen rauben, erschlagen, metzeln nieder, richten mit ausgesuchten Foltermethoden unschuldige Menschen übel zu.

Manche enthaupten sie, und opfern die abgeschlagenen Köpfe ihren Götzen. Von manchenausgerenkten Leibern mißbrauchen sie die abgeschnittenen Hände und Füße und fragen: „Wo istnun deren Gott?“ Manche, die schon am Marterholz hingen, lassen sie wieder herab zu nochgrößeren Torturen als jedweder Tod, um ein noch beklagenswerteres Leben zu fristen, weil sie beilebendigem Leibe erleben müssen, wie sie durch Abschneiden der einzelnen Glieder langsam zuTode gebracht und schließlich nach Aufschlitzen des Bauches elendig ihrer Eingeweide beraubtwerden, wie sie mehrere lebendig abhäuten, nach Abziehen der Kopfhaut und auf diese Weisemaskiert brechen sie unter der Vorgabe Christen zu sein in das Gebiet der Christen auf undschleppen ihre Beute ungestraft fort.

Die Fanatiker unter ihnen rufen, wenn es gerade in ihren Sinn kommt, keine Aufgelage abzuhalten,Feiertage aus und erklären: „Unser Gott Pripelaga fordert Köpfe. Opfer dieser Art müssendargebracht werden!“ Pripelaga ist, wie sie sagen, Priapus und der schamlose Berephiga in einem.

Dann werden Christen vor seiner Unheiligkeit enthauptet und unter furcht- und ekelerregendemGeschrei brüllen sie: „Wir wollen die Tage der Freude veranstalten, Christus ist besiegt, dersiegreiche Pripelaga aber lebt!“ Unausgesetzt erleiden wir solcherart Betrübnisse oder aber leben in ständiger Furcht, da wir ja jene immer vorrücken sehen, und wir stöhnen und seufzen, weil die in allen Dingen gut vorankommen.

Deshalb nun, liebwerte Brüder, Bischöfe ganz Sachsens, Frankens, Lothringens, und Flanderns,Kleriker und Mönche, nehmt Euch ein Beispiel an dem Guten und ahmt auch darin den Franzosennach: Verkündet es laut in Euren Kirchen, heiligt das Fasten, ruft Eure Gemeinde auf, versammeltEuer Volk, berichtet dies und macht, daß es in allen Orten Eurer geistlichen Würde gehöret werde,heiliget den Krieg, weckt die Starken!

Ihr Fürsten stehet auf wider die Feinde Christi, greift zu den Waffen. Ihr starken, mächtigen Söhnegürtet Euch, kommt alle als wahrhafte Streiter! Der Schwache soll sagen, ich bin stark, da Gott dieStärke seines Volkes ist und der Beschützer der Errettung seines Christus ist. Macht Euch auf undkommt, die ihr Christus und seine Kirche liebt, rüstet Euch so wie die Franzosen zur BefreiungJerusalems. Unser Jerusalem, das von Anfang an frei war, wurde durch die Grausamkeit der Feinde zur Magd. Deren Mauern zerbrachen um der Sünden willen. Aber dieser Einsturz hier unter Euer zum Schwur erhobenen Hand, daß alle kostbaren Steine seiner Mauer, auch die Türme in Jerusalem mit Perlen und Edelsteinen (wieder) errichtet werden sollen. Seine Straßen und Gassen werden mit reinem Gold bedeckt, anstelle dieses Abscheu erregenden Geschreis der Heiden vor ihrem Pripelaga soll man singen und es soll in ihm die Gesänge der Freude widerhallen.

An Stelle der Opferungen sollen die Armen durch die Ausgießung des Blutes Christi von seinemLeib und Blut essen und trinken und satt werden, wo ihr den Herren preiset, die ihr ihn sucht, undEure Herzen sollen in alle Ewigkeit leben, so daß das Haleluja aus Eurem Munde kein Endenehme!

Zu diesem Feldzuge bieten uns der Ungarnkönig und andere Fürsten rings im Kreis ihrefrommen Hände. Auch unser König (d. i. der Kaiser) Schirmherr dieses Feldzuges, wird mit allendie er aufzubieten vermag, ein gar sehr bereitwilliger und entschlossener Helfer sein. UnserMerseburg wird in einer Woche am Samstag Beratungsort entsprechender Rogationen sein undüberall im östlichen Sachsen haben wir dafür geeignete Plätze.

Ihr sehr ehrwürdigen Patres, Mönche, Eremiten und Klausner, habt mit Maria den besten Teilerwählet. Da aber Zeit und Verhältnisse so drängen, müßt Ihr aus der Ruhe der Kontemplation mitMartha (sie verkörpert im Neuen Testament die praktisch tätige Frau.) aufbrechen, da Euren aufsvielfältigste so hart bedrängten und beunruhigten Brüdern mit Martha durchaus Maria notwendigund unentbehrlich ist.

Wir sagen Euch, vielmehr redet Christus zu Euch: Stehe auf, rüste Dich, eile Freundin, meineTaube, komme die Blüten Deiner guten Tat sind sichtbar geworden im Land unserer Fürsten, dieZeit der Vernichtung des Götzendienstes ist gekomme, der Ruf der Turteltaube wurde vernommen,die unbefleckte Mutter Kirche ächst unter den Unflätigkeiten des Götzendienstes. Niemandentzündet ein Licht und stellt es unter den Scheffel, sondern stellt es oben auf einen Leuchter, damitdie, die da kommen das Licht sehen.

Euer Licht soll vor aller Augen leuchten, damit die Menschen Eure Taten kennen. Erhebe Dichdeshalb, Braut Christi, Deine Stimme erschalle in den Ohren der Christenheit zum Feldzug fürChristus sollen sie mit Reisigen zu Hilfe eilen. Diese Heiden sind sehr schlecht, aber ihr Land istreich an Fleisch, Honig, Mehl, an Vögeln, und wenn es gut bestellt wird, ist die Ernte so groß, daßes mit keinem Lande vergleichbar ist. So sagen jene, die es kennen. Deshalb nun werdet Ihr Sachsen, Franken, Lothringer und Ihr aus Flandern, die Ihr mit höchstem Ruhm ausgezeichnet und Bezwinger der Welt seid, dies vermögen, Eure Seelen zu retten und – wenn es so beschlossen wird – das beste Stück Erde zur Besiedlung zu erwerben. Derjenige, der die Franzosen, die aus dem äußersten Westen aufbrachen und vorrückten mit seinem starken Arm über die Feinde im Osten triumphieren lassen wird, der wird Euch selbst Kraft verleihen, diese Nachbarn und damit die unmenschlichsten, wildesten Heiden zu unterjochen und in allen Dingen wohl zu fördern.

Aus der Calauer Chronik. Archiv: Fritz Jänchen, Calau.

Es wird angenommen, dass der Aufruf von einem flandrischen Geistlichen um 1108 verfasst wurde. Hinter dem Aufruf stehen laut der Quelle mehrere geistliche sowie weltliche Fürsten aus Sachsen, die sich an Fürsten aus Flandern, Lothringen und dem Rheinland wenden. Aufgerufen wird zur Christianisierung der heidnischen Slawen und zur Rückgewinnung der durch die Slawen besetzten Gebiete östlich der Elbe. Hauptsächlich wird über die Gräueltaten der Slawen aufgrund ihrer heidnischen Religion berichtet; im Mittelpunkt steht der blutige Kult um den slawischen Gott Pripegal.