Der Adel vor dem Dreißigjährigem Krieg

Christian Wilhelm Bronisch, Pastor in Groß-Mehßow 1816 – 1826

Das älteste Kirchenbuch gibt so manche charakteristische Züge aus einer Zeit, die aus ihrem Geist und ihren geselligen Formen, welche uns fremd geworden sind, obgleich nur in flüchtigen Umrissen doch sehr deutlich und oft recht überraschend zeichnen. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, diese Zeichen einer alten, in so mancher Rücksicht guten Zeit, hier näher zusammenzustellen.

Der Adel war in Deutschland vor dem Dreißigjährigen Krieg sehr zahlreich, aber eben aus diesem Grunde nicht sehr wohlhabend und nicht sehr anspruchsvoll. Eine Erscheinung, die aus gleichen Gründen noch jetzt in Spanien und in Polen an der Tagesordnung ist. Wie Groß-Mehßow bis zum Jahre 1602 unter zwei Gebrüder von Drauschwitz (es können auch Vater und Sohn gewesen sein) geteilt war, so war ehemals manches Dorf in zwei bis drei Anteile geschieden, die jetzt vereinigt ihren Inhaber keinen glänzenden Aufwand gestalten. Die beiden Familien von Drauschwitz zählen in den Jahren 1599 bis 1614 nicht weniger als 12 Fräulein dieses Namens in ihren Schwestern und Kindern, außerdem hielten sich in diesen Häusern Schwäger und Schwägerinnen zum Teil fortwährend auf.

Es leuchtet ein, daß, wenn auch seit 1602 das ganze Gut dem Hans Georg von Drauschwitz erblich anheimfiel, dieses Haus, bei seinem mäßigen Besitz, seinen Haushalt sehr einschränken mußte. Wieviel von diesen Fräulein sich verheiratet haben, ist nicht zu ermitteln, da der Anfang des Kopulationsverzeichnisses bis 1632 fehlt. Aber 5 davon sind, wie das Sterberegister anzeigt, hier unverheiratet gestorben. Später hat sich nur noch einmal und in sehr verjüngten Maßstabe die Zahl der Fräulein hier gemehrt, unter dem Besitzer Friedrich Christoph Truchseß von Reinfelden (seit 1690 Herr auf Groß-Mehßow) in seinen Schwestern, Schwägerinnen und Töchtern. Zur Wohnung für diese Damen, zu welchen auch noch zuweilen Wittwen aus der Verwandschaft sich gesellten und die zum Teil ihre eigene Haushaltung hatten, reichte natürlich das Schloß nicht aus. Es waren aber mehr herrschaftliche Gebäude vorhanden als jetzt. So hat eines vor alten Zeiten hier in Bronks Garten nahe am Pfarrhaus gestanden, ein anderes noch zu Walter und Croneks Zeiten an der Stelle, wo jetzt die Jägerwohnung ist und ein drittes unter den Minckwitzen neben Andricks Gehöft.

Die „Edlen, Gestrengen und Ehrenwerten Junker“ von Drauschwitz waren schwerlich reich an Gütern, aber desdo fester in Zucht und Ehre und desdo edler durch Humanität. Das erste bezeugt schon der einfache Leichenstein des Hans Georg in der Kirche und das letzte sein und seiner Familie häufiges Erscheinen an Patenstelle bei Kindern gemeiner Landleute und seiner Wahl der Taufzeugen bei den eigenen Kindern, die fast ebenso häufig aus bürgerlichen Personen, manchmal gewöhnlich auch der Pfarrer ist, bestehen, als aus Adligen. Doch möchte dieses mehr ein Vorzug der Zeit sein, in welcher alle Stände durch Eitelkeit mehr vereinigt wurden, während sie sich jetzt aus Stolz mehr voneinander trennen, und in einer Zeit, wo die Kirche noch in ihren heiligen Gebräuchen einen wohltätigen Einfluß auf die Einigung aller Stände ausübte. Daher darf es nicht auffallen, wenn man liest, wie die Fräulein von herrschaftlichen Höfen (oder „Jungfrauen von Drauschwitz“, wie sie im Kirchenbuch genannt werden) ebenso oft zu Gevatterschaften bei Bauerfamilien kommen, als Personen aus diesem Stande. Wie eine Jungfrau Christine von Drauschwitz bei einem unehelichen Kinde der Tochter des Kochs als Pate erscheint (1600), wie bei dem Pfarrer Ruben, welcher einen Sohn taufen läßt, sich der Kirchenpatron (von Drauschwitz), der Pastor aus Calau und Hans der Heidemüller etc. zur Gevatterschaft vereinigen (1605). Und endlich, wie der Pfarrer selbst, der überaus oft bei allen Ständen Gevatter steht, zu einer Zeit, wo noch Kirchbuße üblich war, sogar bei einem unehelichen Kinde Taufzeuge ist (1603, Nr. 6), was jedoch in dem alten Kirchenbuche noch seltener ist, als Anzeigen von unehelichen Geburten und vielleicht nur dieses eine mal vorkommt.

Ruben bittet sich in der Regel für seine Kinder eine Patenschaft aus drei verschiedenen Ständen zusammen (bis 1614). 1608 sind seine Gevattern: Batmann, Pfarrer in Saßleben; der Ritter aus Säritz; Jungfrau Margarethe von Drauschwitz etc. Dieser Gebrauch hört aber bei seinem Nachfolger, Supanus, plötzlich auf, entweder weil sich die Sitte schon geändert hatte, oder weil er anderen Sinnes war. Die vornehmen Gevatterschaften bei den Pastoren dauern nun fort bis auf Caunius (seit 1651), der aufeinmal die alte Sitte wieder erneuert, aber damit wahrscheinlich schon gegen die Zeit ein wenig verstößt, denn seine Nachfolger ahmen ihn darin nicht nach.

Übrigens darf man bei dieser scheinbaren Gleichstellung der Stände nicht glauben, daß es damals an der Tagesordnung war, sich über alle Rücksichten hinwegzusetzen und, daß es in der Geselligkeit keine Regel und keinen guten Ton gab. Im Gegenteil war es gerade das Zeitalter der Ehrbarkeit und der umständlichen, aber ehrlich gemeinten Höflichkeit. Man nahm gern Ehre, weil sie willig gegeben wurde und man gab sie gern, weil sie ohne Argwohn oder Verachtung angenommen wurde. So kettete eine unschuldige Eitelkeit die verschiedenen Stände zusammen, die bei weiteren nicht von egoistischen Kastengeiste so beseelt waren, als jetzt.

Wenn daher die damaligen Pastoren im Kirchenbuch die Fräulein „Ehre und vieltugendsame Jungfrauen“, die Patronen und Lehnjunker von Groß-Mehßow die „Edlen, Gestrengen, Ehrenwerten und Wohlbenannten“  nennen, ihre Amtsbrüder aber die „Ehrwürdigen“  und Frauen aus dem Mittelstande die „Achtbaren und Ehrsamen“, so sind diese Prädikate in ihrem Munde keine bloße Phrase, noch viel weniger ein Scherz, wozu jetzt der veränderte Sprachgebrauch, welcher bedeutungsloser Titulatoren vorzieht, diese Altväter der Ehrenerweisung umprägt. Wie sehr man auf das Zeremonielle hielt, und jedem Stand seine Ehre zugeben bereit war, darüber gibt die Anzeige des Todesfalls des Kirchenpatrons von Supanus im Sterberegister von 1625 die beste Auskunft. Dort heißt es von dem Verstorbenen: „er ward mit christlichen, adligen, gebräuchlichen Zeremonien ehrlichen zur Erde bestattet auf vorhergehender getaner Leichenpredigt aus Joh.II.c von der adeligen Todtenleiche des edlen Landjunkers Lazari, welche beschauet worden“. Hier ist ehren zuviel als zu wenig der Rang berücksichtigt, bei einer Gelegenheit, die doch alle Welt so recht an ihr gemeinschaftliches Los und an das Nichtige äußeren Auszeichnungen erinnert.

Diese Zeit einer strengen Sitte, einer gegenseitigen Achtung aller Stände, eines innigeren Verbandes aller Gemeindeglieder durch Vermittlung der Religion, eines zurückgezogenen Lebens, eines heilsamen Einflusses der Geistlichen, die noch eine gemäßigte Kirchenzucht (siehe die Geburtsregister der Pastoren Ruben und Supanus) ausüben können, einer nützlichen Tätigkeit der Landjunker, die das sind was sie heißen, und ihre Hufen mit ihren Hofmännern selbst bewirtschaften. Diese Zeit ist auch zu Grabe getragen, wie jener ehrenwerte Landjunker und bald nach ihm, denn seit dem Dreißigjährigen Kriege erschien sie nicht wieder.

Kirchenbuch Groß-Mehßow.